Zu „Die erklingende Kunst-Lutter“ von Rotraut Richter,  dem Klangspiel „Lutter-Geglucker“ von Elke Werneburg und der Lesung von Leonore Franckenstein aus „Die Wellen“ von Virginia Woolf am 12.09.2014 um 19.30 h im Tageshaus am Niederwall (Blaue Galerie)

 

Eine Einführung von Brigitte Siebrasse

 

Liebe Gastgeberin Frau Blaschke, liebe Gäste und nicht zu vergessen meine lieben drei Akteurinnen der heutigen Veranstaltung Rotraut Richter, Elke Werneburg und Leonore Franckenstein.  Ich habe die schöne Aufgabe, Sie heute zu einem ungewöhnlichen Abend begrüßen zu dürfen, der diese drei Bielefelder Künstlerinnen bewogen hat, sich auf sehr unterschiedlich kreative Weise mit unserem Bielefelder Lutterbach und mit Wasser und Wellen zu beschäftigen.  

 

Beginnen möchte ich mit den Bielefelder Künstlerinnen Richter und Werneburg und ihren Arbeiten über unseren kleinen, immer sichtbareren Bielefelder Lutterbach, der, wie der Titel des Abends ja schon besagt, künstlerisch zum Erklingen kommen wird, den ausgeprägten künstlerischen Handschriften beider sei Dank. Beiden Frauen, die mit ihren jeweiligen künstlerischen Ausdrucksmitteln unterschiedlicher nicht sein können, ist dennoch gemein, dass sie zur Lutter und aus der Lutter ein Panorama von Leben und Lebendigkeit und Musikalität erschaffen haben.   Warum ausgerechnet die Lutter als künstlerisches Motiv von beiden Künstlerinnen ausgewählt wurde, hat mit beider Interesse an der Bielefelder Stadtgeschichte zu tun. Die verrohrte, und fast aus unserem Blickfeld verschwundene Lutter, bewegt erstaunlich viele Bielefelder. Da liegt es nahe, dass Künstlerinnen und Künstler den Traum vieler Bürger unserer Stadt für einen ordentlichen Fluss vor Ort und die Sehnsucht nach etwas Wasser mit künstlerischen Mitteln zu begegenen versuchen. Wenn wir bedenken, dass die Lutter 1900 verrohrt wurde, um die übel riechenden und Seuchen mit sich bringenden Abwässer aus Bleichen und Betrieben, die jahrzehntelang in den Fluss flossen, von uns fern zu halten, dann ist es wie ein kleines Wunder, dass heute das zu Tage tretende Wasser fast Trinkwasserqualität hat.    Dass nun engagierte Pro-Lutter-Enthusiasten die Lutter bis 2018 oberirdisch sichtbarer machen wollen, am Niederwall, an der Teutoburger Straße bis hin zum Stauteich I., finanziert aus Fördermitteln und Stiftungsgeldern, denn die Stadt will und kann die Kosten nicht übernehmen, ist ein in der Tat beeindruckend-erfolgreicher Bürgercoup. Da Kunst wiederum Erinnerung an die Möglichkeit von Freiheit ist, wie ein großer Denker mal gesagt hat, sind wir heute auf der richtigen Ausstellung, will ich meinen.

 

In meiner Vorstellungsrunde möchte ich mit der Künstlerin Elke Werneburg beginnen. Elke Werneburg, die sich gerne selber als Kunstunternehmerin ihrer eigenen auto-kultur-werkstatt bezeichnet, hat sich mittlerweile in der Bielefelder Kunstszene einen Namen gemacht als experimentierfreudige Avantgardistin und Galeristin und als freischaffende Künstlerin. Seit Jahren steckt sie ihre wunderbar eigensinnige Arbeit in ihr künstlerisches Kleinod, besagte „auto-kultur-werkstatt“ in der Teichstraße,  die wir auch unter der Abkürzung akw gut kennen, aus der 2005 die „Treppenhausgalerie“ hervorgegangen ist  - ein gefragter und ungewöhnlicher Präsentationsort für unterschiedliche Mischungen von Musik, Sprache, Foto, Film, Bildende Kunst, Happenings und Performances ebenso wie für Installationen und Ausstellungen. (Ihr nächstes Projekt heißt typisch: „Teichstraße ohne Teich,“ in dem sie Akteure vorstellt, die an der Teichstraße leben: Glas-, Graffiti-, Piercing- und Tatoo-Künstler.)

 

Heute Abend hat Elke Werneburg zum Thema erklingende Kunst-Lutter die Installation Lutter-Geglucker mitgebracht. Es handelt sich um eine Klang- und Wasserinstallation mit echtem Lutterwasser und mit echtem Lutterwasser-Sound, die sie vor ungefähr 14 Jahren am Rodin (in Kunsthallennähe) aufgenommen hat - damals der einzige Ort in Bielefeld an dem zu diesem Zeitpunkt die offene Lutter zu sehen und zu hören war. Auch heute hören wir den echten Lutterwasser-Sound aus dem Jahre 2000! Das originär von der Künstlerin 2000 in vielen Einmachgläsern eingefangenes Lutterwasser, die sie dekorativ aufgetürmt und gefangen gehalten hat seitdem, neben ergänzenden Gläsern mit frischem, klaren Lutterwasser von heute, ist spannend anzusehen in seiner farblichen Veränderung und wunderschön, wenn die Sonne durch die Gläser fällt, (was wir Ihnen heute Abend ohne echte Sonne leider nicht bieten können). Es erzählt auch gleichzeitig etwas darüber, dass Wasser ein Verfallsdatum hat. Achten Sie auch bitte darauf, dass sich in einem Glas bereits ein winziges Krokodil häuslich niedergelassen hat. Sehen und Hören Sie selbst.

 

Nun zu der Digitalfotografin Rotraut Richter, die Künstlerin mit der unverwechselbaren Handschrift, und die wie Elke Werneburg ein schönes Beispiel dafür abgibt, dass eine künstlerische Leidenschaft und Bereitschaft für das Gestalten eine so genannte Beamtenmentalität ausschließen. Die Kamera ist (laut Susan Sontag) das ideale Hilfsmittel, wenn unser Bewusstsein sich etwas aneignen will. Und Rotraut Richter eignet sich tatsächlich etwas an, sie holt auf 10 Meter Länge eine Kunst-Lutter aus der Verbannung, fertigt aus diesen digitalisierten Wasseraufnahmen Reliefs und macht sie damit als wellenschlagendes Fließbild zum Ebenbild der Fließ-Lutter. Damit wird mit der Plastizität ihrer Kunst-Lutter das hohe Wellen schlagende Wasser sinnlich und ertastbar. Sie lässt die Fotografie-Objekte Wellen schlagen, in dem sie auf dahinter applizierten Holzleisten auf denen sie liegen, Volumen erhalten, schließlich geht es um Wasser, um Wasserwellen und Fundstücke in diesem Wasser. Die Erscheinung der Dinge wird beeinflusst von der Lebendigkeit und Wildheit des Wassers und all seinen fantastischen Bewohnern aus dem kreativen Kosmos der Rotraut Richter. Wolkenspiegelungen von Weiß auf Schwarz hat die Künstlerin konvertiert, Müllstücke im Flusslauf entdeckt und fotografiert. Ich kann entdecken, was sie mit ihrer Kombination von angeschwemmten Hölzern, Wurzeln und Ästen und Baumstämmen, die im Wasser liegen, entstehen lässt. Exzentrische aber freundliche Fantasietiere treiben ihr Unwesen und stecken uns an mit ihrer Lebensfreude und Lebendigkeit. Es entstehen faszinierende Bilder von reißendem Wasser und seinen Bewohnern. Die Künstlerin stellt uns sozusagen ihre überbordende Fantasie zur Verfügung, macht aufmerksam und sichtbar und bevölkert ihre Fantasie-Lutter mit ihren kleinen und großen Symptomen des Lebendigen, des Musikalischen, die sie als ihre Lutter-Tiere aus der unterirdischen Lutter befreit. 

 

Rotraut Richters kontinuierlich unterbrochene Kunst-Lutter, die am Eingang beginnt und hier in diesem Raum zerstückelt endet, leugnet jedoch auch keineswegs die Zerrissenheit dieses Flüsschens oberhalb und unterhalb unserer Stadt. Die Künstlerin zerstückelt ihre Kunst-Lutter wie in der Realität. Sie bedient sich bewusst einer Dissonanz des Fließenden. Und, sie gemahnt bewusst oder unbewusst daran, dass für ein ostwestfälisches Venedig - von dem alle Pro-Lutter-Freunde träumen - noch einiges zu tun ist. Auf das Sichtbare ist nicht immer Verlass, man muss sich mit dem, was man sieht, auseinandersetzen. 

Vielleicht liege ich da nicht so falsch, wenn ich denke, dass Rotraut Richter (wie die amerikanische Fotografin Annie Leibovitz) ihre Arbeit als darstellende Kunst begreift. Denn ihre Werke sind ebenso bis ins kleinste Detail ausgefeilt. Außerdem bringt, wie Walter Benjamin gesagt hat, die surrealistische Tradition, aus der Rotraut Richter kommt, magische Werte sprachmusikalisch zum Vorschein, die ein gemaltes Bild nie mehr besitzen kann.

 

Ausklingen lassen soll diese Einführung nun die Schauspielerin Leonore Franckenstein, die ebenfalls in Bielefeld seit Jahren eine wichtige Instanz ist mit ihren öffentlichen Lesungen, und die seit einiger Zeit Vorstandsmitglied ist im Künstlerinnen-Forum Bielefeld-OWL. Sie liest kurze Auszüge aus den zehn Zwischenspielen des Romans „Die Wellen“ der englischen Schriftstellerin Virginia Woolf aus dem Jahre 1931. Wellen gelten als Symbol des Getragenen und zugleich des Verschlungenwerdens allen Lebendigen und ergeben einen Rhythmus von Wiederholung und Veränderung. Lassen wir nun mit Virginia Woolfs Sprachbildern unseren wasserbewegten Abend ausklingen.


Danke fürs Zuhören!    





Rotraut Richter


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