Rotraut Richter: am 21.08.2021 (15 Uhr) mit neuem Bildband
„Vernetzte Fantatiere“
bei Offene Ateliers, Bürgerwache Bielefeld
Einführungsrede von Brigitte Siebrasse
Es ist kaum zu glauben, aber in offensichtlich extrem abgespeckter Form können wir heute endlich Rotraut Richter im allerkleinsten Rahmen mit ihren digitalen Kreationen, den „Vernetzten Fantatieren“, hier in der Bürgerwache wieder begegnen! Vergessen wir die vielen Stolpersteine zu dieser Begegnung sowie die unselige Begrenzung der Personenzahl auf sechs Besucher:innen, vergessen wir die damit einhergehenden sogenannten kafkaesken Umstände, hier in der Bürgerwache auch noch möglichst freien Zutritt zu bekommen. Lassen wir uns auf Improvisationen ein und feiern wir die Feste wie sie fallen! Denn Rotraut Richters surreale und digitale Welt wieder betreten zu können ist Grund genug für Freude, und wie bisher bei ihren Aktivitäten, ein Fest für die Sinne.
Und nicht zu vergessen, Rotraut Richter mit ihren stolzen zweiundachtzig Jahren ist ja wohl auch die unumstrittene große alte Dame in unserer Bielefelder Kunstszene! Seit 21 Jahren hat sie sich nun ihrer digitalen Fotografie verschrieben, nachdem sie vorher in Berlin Kunst studierte und in Bielefeld und Detmold Kunst unterrichtete. Sie war rund um OWL und bis nach Hamburg in erfolgreichen Ausstellungen zu sehen und zu bewundern, sie hat Kunstbücher veröffentlicht und bekam im Bielefelder TV Kanal 21 ein schönes filmisches Portrait, was immer noch im Netz zu finden ist.
Rotraut Richter selber sagt über sich, dass ihre Kunst in der Tradition des surrealen Gestaltung mit Hilfe der Fotografie stehe und gekoppelt sei an neuzeitlicher Computermalerei. Das heißt, ihre farbstarke Malerei wurde von ihr im Computer erschaffen, basierend auf fotografischen Vorarbeiten und räumlichen Settings, „Digitale Installation“ geheißen. Mit Hilfe des Computers und der geeigneten Software verändert und verfremdet Rotraut Richter die abgebildete Umgebung z.B. mit gespiegelter Verdoppelung. Die Außenräume werden zu Innenräumen. Und mit der hinzugekommenen Farbgestaltung gelingt es ihr, z.B. das Märchenhafte, Fremde, Geheimnisvolle ihrer Kreationen zu unterstreichen. Hineinkopierte Fotos z.B. von geknüllten Papierknubbeln in realem Wasser betonen nicht nur das Surreale in ihren digitalen Umsetzungen, sondern lassen auch neue Kreaturen entstehen z.B. als Fantasie-Schwäne, die in ihrer Bielefelder Kunst-Lutter-Ausstellung 2014 am Niederwall zu sehen waren.
Das Markanteste überhaupt an Rotraut Richters Kosmos ist sicherlich, dass dieser ein explizit tierischer Kosmos ist, den sich die Künstlerin mit einem Potpourri an den z.T. skurillsten Fantatieren erschaffen hat, um sich nebenbei ihren Wunsch zu erfüllen, die Sterne am Künstlerinnen-Himmel zu ergreifen! Das ist ihr großartig gelungen und damit widerlegt RR das langweilige Vorurteil, dass Frauen technisch nicht imstande sind, technisch zu arbeiten. Rotraut Richter kann! Überzeugen Sie sich selber!
Aufmüpfige und irgendwie auch selbstbestimmte Gestalten, sogenannte Fantasietiere, bevölkern ihre digitale Welt, agieren putzmunter in Bielefeld, in Kassel auf der Dokumenta, in Venedig, über und unter Wasser und heißen „Fantas“. Rotraut Richter ist sozusagen die Protokollantin ihrer Abenteuer.
Heute stellt Rotraut Richter ihr zweites Fantabuch vor, das sie „Vernetzte Fantatiere“ nennt und das aufgrund der Pandemie bereits 2020 hätte öffentlich vorgestellt werden sollen. Und naturgemäß hat die Künstlerin diese digitale Welt wieder in den Furor ihrer Inspiration gestellt, wie immer farbstark, geheimnisvoll in ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfalt. Und transportiert dabei auch gleichzeitig das Chaos des neuangebrochenen Virus mit im aberwitzigen Kunterbunt ihrer Fantatier-Agitateure. Denn angesichts eines in ihrem Computer ausgebrochenen Virus reagieren die Fantas aufgescheucht bis umtriebig und nervös innerhalb und außerhalb Rotraut Richters Computers bis zum Finale, für den der Richtersche Höllenhund blutrünstig die Viren auffrisst.
Da der die Bilder kommentierende und beschreibende sprachliche Teil im neuen Fatabuch bewusst die Belebtheit der Inhalte rund um Rotraut Richters Fanta-Traumtänzer, Strandnixen, Müllwesen, Fantavögel, Grünblaufische, Fantataucher, Sandkönigeulen und einem Fanta-Orakel nur andeutet, wird uns Leser:innen das implizierte Stilprinzip des Bildbandes bewusst, dass Magie, Glanz und subtile Komik für die Zuschauer:innen auch vor allem ein Beteiligtsein und Weiterspinnen im eigenen Kopf erfordern.
Einer der letzten Sätze im Fantabuch lautet: „Sie kommen wieder!“ Gemeint sind die Viren. „Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute“. Doch bis zur nächsten lauernden Krise geben natürlich auch die Fantatiere ein solidarisches Zeichen und zeigen sich – schauen Sie bitte hier diese Wandleiste genauer an! – mit Maskenschutz!
Bleiben wir nun alle gesund und erinnern uns, dass sich außerhalb der Schönheit von Fantasie und Kreativität nicht gut leben lässt. Danke, liebe Rotraut, für deine schöpferischen Impulse und deine wundersamen Geschöpfe, die uns irgendwie zu ähneln scheinen!